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Kapitel 18: Sie oder Ich

  Aufmerksam lese ich mir die einzelnen Spezialisierungen durch. Ich war mir vorher nicht sicher, was genau mich eigentlich mit Level 20 erwartet. Entsprechend überrascht bin ich vor allem von der Art der Optionen. Meine Annahme war, dass alle Magier verschiedene Elemente nutzen um entsprechende Zauber zu wirken. Dies ist offensichtlich gar nicht oder erst in h?heren R?ngen der Fall. Stattdessen bietet mir das System an, mich voll und ganz einem bestimmten Element zu widmen. Wenn also das Ziel einer Spezialisierung ist, sich n?her mit einer bestimmten Art von Magie zu besch?ftigen, erscheint mir arkaner Lehrling ein wenig merkwürdig. Es ist die einzige Option, welche kein spezifisches Element erw?hnt. Au?erdem bringt die Klasse nur 5 Punkte pro Levelaufstieg. Somit fliegt arkaner Lehrling gedanklich von meiner Liste.

  Generell finde ich es spannend, dass drei meiner Optionen mehr Punkte geben als die restlichen Zwei. Das “diese Wege nur Wenigen gew?hrt werden” l?sst eigentlich keine Zweifel mehr daran, dass diese Klassen vom Seltenheitsgrad her ungew?hnlich sind. Demzufolge w?ren Lehrling der Erde und arkaner Lehrling gew?hnliche Klassen. Die Wegweiserin Anna hatte ja bereits angedeutet, dass Abweichler bei der Spezialisierung einen Vorteil haben. Was ich mich aber nun frage ist, warum steht die Seltenheit nicht mit dabei? Jetzt wo ich darüber nachdenke, f?llt mir auf, dass auch bei der Klassenauswahl keine Seltenheit angezeigt wurde. Vielleicht m?chte das System damit ausdrücken, dass jeder Weg m?glich ist? Ich habe keine Ahnung. Statt über die m?glichen Beweggründe einer gottgleichen Kreatur nachzudenken, sollte ich mich lieber aufs Wesentliche konzentrieren.

  Anna meinte ebenfalls, dass mein Handeln Einfluss auf meine Auswahl hat. Somit kann ich durchaus nachvollziehen weshalb jemand, der im Wald lebt, zwei naturbasierte Elemente zur Auswahl bekommt. Giftmagie kann ich mir nur durch die unz?hligen Male erkl?ren, in denen ich selber vergiftet wurde. Schattenmagie ist mir jedoch v?llig schleierhaft. Da die Beschreibungen selber nur sehr vage Hinweise bieten, was die Klassen eigentlich kann, versuche ich meine Entscheidung eher an den Attributen der Spezialisierungen zu orientieren.

  Da Lehrling der Erde nur fünf Punkte pro Levelaufstieg gibt, scheidet diese Option ebenfalls aus. Immerhin m?chte ich den einzigen Vorteil, welchen ich als Abweichler habe, auch nutzen. Somit bleibt noch Holz-, Gift- und Schattenlehrling übrig. Alle drei Optionen sind auf ihre Art merkwürdig und geben keine freien Attributspunkte.

  Lehrling des Holzes klingt nach einer recht ausgewogenen Variante. Ein wenig Leben, dazu eine Portion Intelligenz und ne Menge Einsicht, fertig ist der Holzlehrling. Allerdings habe ich keinen Schimmer, was zum Kuckuck ich mir unter Holzmagie vorstellen soll. Beschw?re ich dann Zweige und B?ume, versteck mich dahinter und hoffe auf das Beste?

  Lehrling des Giftes ist in dieser Hinsicht wesentlich simpler. Ich beschw?re wahrscheinlich etwas Giftiges, mein Ziel wird davon getroffen und ist dadurch eingeschr?nkt oder stirbt sogar daran. Auch gef?llt mir die ausgeglichene Attributsverteilung sehr gut. Von meinem jetzigen Stand aus gesehen, würde ich eine Vitalit?t, Wahrnehmung und Einsicht pro Level mehr bekommen. Allerdings schreckt mich die Zeile mit dem “langsam und qualvoll” ab. Ich habe bewiesen, dass ich nicht davor zurückschrecke auch Menschen zu t?ten. Allerdings verdient es niemand, dass sein Ende unn?tig hinausgez?gert wird. Ich glaube, diese Option ist eher nichts für mich.

  Schattenmagie klingt geheimnisvoll aber auch spannend. Vielleicht kann ich mit dieser Klasse irgendwie meinen eigenen Schatten im Kampf einsetzen? Die Klasse bringt auf jeden Fall eine Menge Wumms mit sich. 4 Intelligenz pro Level! Mit soviel Wucht k?nnte ich bestimmt bald ganze H?user in Schutt und Asche legen. Die Klasse ist definitiv verlockend aber m?chte ich wirklich nur richtig starke Zauber haben und sonst nichts? Nico hat sein st?rkerer Manabolzen nicht besonders viel genützt. In meinem n?chsten Kampf k?nnte es mir mit dieser Klasse ?hnlich gehen.

  Nach einigem Hin und Her entscheide ich mich schlie?lich für Lehrling des Holzes.

  Ich lese mir die Fertigkeiten extra zweimal aber da steht tats?chlich Baumrinde! Wieso nicht ein Schild aus Holz? Natürlich habe ich keine Ahnung davon, welches Material zu einer guten Rüstung taugt. Auch w?re eine Eisenrüstung mehr als nur unpraktisch für einen Magier. Allerdings denke ich bei leichter Rüstung oder Schilden vor allem an welche aus Leder, Tierh?ute oder eben Holz. Vielleicht bin ich hier aber auch ein wenig voreingenommen. Jeder Baum besitzt schlie?lich eine Rinde als Schutzschicht. So schlecht kann das Material also auch nicht sein. Die entsprechenden Werte sehen auch hervorragend aus. Mein Manabolzen verursacht aktuell 28 Schaden und beide Optionen würden diesem Zauber locker standhalten. über die Wirkzeit kann man auch nicht meckern. Des Weiteren habe ich mir bereits für Level 10 eine defensive Option gewünscht und wurde entt?uscht. Ich sollte also weniger meckern und mich lieber über die Auswahl freuen.

  Rindenkokon liest sich eher wie eine Art letzte Verteidigung, w?hrend Rindenschild eher für den normalen Kampf geeignet ist. W?hrend die Manakosten für das Schild noch in Ordnung sind, ist die zweite Option einfach nur unglaublich teuer. Eine Anwendung und mein Mana ist quasi leer. Auch finde ich die letzte Zeile besorgniserregend. Sich selber an Ort und Stelle zu binden klingt für mich nicht nach einer guten Idee. Gegen Fernk?mpfer mag das noch okay sein aber einen Nahk?mpfer h?lt der Kokon wohl eher nicht auf. Fairerweise wird wohl auch das Schild gegen Letztere wenig helfen. Wenn ich der Bedingung für Level 2 glauben schenken darf, dann ist das Schild vor allem dafür gedacht Projektile zu blocken.

  Die Entscheidung f?llt mir wesentlich leichter als bei der Spezialisierung. Die Nachteile von Rindenkokon sind einfach zu gro?.

  Ich blinzle und nehme aktiv wieder den Wald mit seinen Ger?uschen und Gerüchen wahr. Für einen Moment fühle ich einen gewissen, inneren Frieden. Augenblicklich holt mich aber die Realit?t zurück. Es ist auf einmal Abend. Wielange habe ich bitte für meine Spezialisierung gebraucht? Mir war so, als w?re es gerade noch kurz nach Mittag gewesen.

  Ich ignoriere die Meldung. Es gibt erstmal Wichtigeres zu tun.

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  Aus den Augenwinkeln bemerke ich, wie sich Torben endlich wieder bewegt. Es wurde auch langsam mal Zeit. “Wie geht es dir?”, fragt mich der Magier. Ich wei? nicht, was ich darauf antworten soll. Wie fühlt man sich nachdem man jemanden umgebracht hat? “Ein wenig besser”, antworte ich ihm. Wir schweigen uns eine Weile lang an. “Wir sollten darüber sprechen Clara.” “über was genau?”, frage ich kalt. “Du hast sie einfach umgebracht!” “Ich hatte keine Wahl”, entgegnet er mir.

  “Wir h?tten mit ihnen reden k?nnen! Du h?ttest mit gehen k?nnen. Vielleicht wollen die Dorfbewohner dich ja nur etwas fragen”, sage ich mit leichter Verzweiflung in der Stimme. “Du bist naiv. Mirheim schickt nicht vier Leute los um mich zum Tee einzuladen. Sie haben mir offen gedroht mich zu t?ten Clara. Entweder sie t?ten mich an Ort und Stelle oder sp?testens im Dorf. Vielleicht foltern sie mich sogar noch vorher. Es gab keinen anderen Weg, entweder sie oder ich.”

  Ich m?chte erwidern, dass seine Anschuldigungen absurd sind. Die Bewohner von Mirheim sind keine schlechten Leute. Manchmal ein wenig schr?g aber mit dem Herz am rechten Fleck. Allerdings bleiben mir die Worte nach den letzten Wochen im Halse stecken. Dieselben Leute, welche ich mein Leben lang kenne, mit denen ich jeden Tag gelacht habe, stehen nun für mich in einem ganz anderem Licht da. Falls mir jemand Torbens Erlebnisse erz?hlen würde, keine Chance würde ich solchen Mist glauben. Allerdings wei? ich von den überh?hten Preisen, welche sie von Torben verlangen, habe gesehen wie sie ihn wie einen Verbrecher jagen wollten, selbst meine eigene Mutter hat ihn so zugerichtet, dass er fast in seiner eigenen Blutlache ertrunken w?re. Normale Menschen machen so etwas nicht. Normale Menschen helfen anderen in ihrer Not und versuchen nicht noch Profit daraus zu schlagen.

  Dennoch kann ich deutlich die leeren Augen von Eugen vor mir sehen. Ich wei? nicht wie ich jemals diesen Blick vergessen soll.

  “Du musst dich entscheiden Clara.” Die Worte rei?en mich aus meinen Gedanken und ich schaue den Magier in die Augen. Sein Blick ist klar und entschlossen. “Du kannst einfach zurück ins Dorf gehen. Ich werde dich ganz bestimmt nicht aufhalten. Falls du aber weiter mit mir unterwegs sein m?chtest, sollte dir klar sein, dass ich wenn n?tig wieder Menschen t?ten werde. Es macht mir weder Spa? noch wünsche ich mir das es dazu kommt. Doch selbst wenn ich die Zeit zurückdrehen k?nnte, würde ich exakt dieselbe Entscheidung wieder treffen. Ich werde immer mit allen Mitteln um mein überleben k?mpfen.”

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  Ich habe Clara bis Morgen Bedenkzeit gegeben. Je l?nger ich in der N?he von diesem Dorf voller Irrer bin, desto wahrscheinlicher geht es mir an den Kragen. Man wird bald feststellen, dass die jungen Erwachsenen nicht zurückkommen. Sp?testens dann sollte ich bereits ganz weit weg sein. Jetzt heisst es aber erstmal Abendbrot essen und dann zeitig ins Bett.

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